Plagiat

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Ein Plagiat[1] ist in einer klassischen Definition der Diebstahl geistigen Eigentums. Ein Plagiat liegt vor, wenn fremdes geistiges Eigentum als eigenes ausgegeben wird. Unter urheberrechtlicher Perspektive könnte man formulieren: Ein Plagiat ist die unbefugte Verwertung eines fremden Werks oder von fremden Werkteilen unter Anmaßung der eigenen Urheberschaft.

Erstes Beispiel für ein wissenschaftliches Textplagiat

Original. Quelle: Magisterarbeit aus Germanistik von Damian Rzezniczak, 2005, https://www.diplom.de/document/224015
Plagiat. Quelle: Masterarbeit von N.N., 2010

Für die Identifikation eines Plagiats ist es entscheidend, dass ‚vor Ort‘ keine Quellenangabe erfolgte. Aber auch mit einer Quellenangabe, die ein sinngemäßes Zitat anzeigen würde, wäre der Text viel zu nah am Original und damit immer noch zumindest als Zitierfehler zu werten. Für die Identifikation eines Plagiats ist immer der Kontext entscheidend, es ist aber zunächst nicht entscheidend, ob in der Arbeit, die das Plagiat enthält, die Quelle des Plagiats an einer anderen Stelle angegeben wurde oder ob die plagiierte Arbeit im Literaturverzeichnis der Arbeit, die das Plagiat enthält, erwähnt wurde. Solche Fragen sind erst dann zu beantworten, wenn es um die Einordnung des Plagiats als Folge grob fahrlässigen Verhaltens oder Täuschungsverhaltens geht.

Zweites Beispiel für ein (diesmal schwerwiegendes) wissenschaftliches Textplagiat

Original. Quelle: Beckmann, Jan P. (20153): Wilhelm von Ockham. München: C.H. Beck, Klappentext.
Plagiat. Quelle: Zurückgezogene Habilitationsschrift von N.N., 2019

Begriffsgeschichte

Das Wort ‚Plagiat‘ hat sich in der deutschen Sprache erst im 18. Jahrhundert verbreitet, vom französischen ‚plagiat‘ kommend.[2] Der Begriff geht zurück auf lat. ‚plaga, -ae (f.)‘, das mehrere Grundbedeutungen hat. Eine davon ist das (Jagd-)Netz, mit dem man etwas einfängt, auch der Fallstrick oder die Schlinge.[3] Das lateinische Wort ‚plagiarius‘ tritt in der Bedeutung ‚Menschenräuber‘ und ‚Sklavenhändler‘[4] auf – übertragen und bildlich im Sinne einer Person, die Menschen (mit einem Netz) einfängt und dann zu Sklaven macht.

Beim römischen Dichter Martial ist im 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung in den Epigrammen (1,52) nachzulesen: „hoc si terque quaterque clamitaris, impones plagiario pudorem“. Dies kann übersetzt werden mit: „Wenn Du das drei oder vier Mal deutlich sagst, wirst du den Plagiator beschämen.“[5] Bei Martial kommt es somit zu einer Bedeutungsverschiebung: Der ‚plagiarius‘ nicht mehr als der Menschendieb, sondern als der Textdieb, als Räuber von Versen: als einer, der fremde Verse – nämlich die des Martial – als eigene vorträgt.

Die klassische Bedeutung von Plagiat ist demnach der „Diebstahl geistigen Eigentums[6], wobei darauf hinzuweisen ist, dass sich der Begriff des ‚geistigen Eigentums‘ erst in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts verbreitet hat (obwohl Plagiatsstreitigkeiten, siehe Martial, viel älter sind und schon für die griechische Antike nachgewiesen wurden).

Plagiatsdefinition in der Wissenschaft

Vom deutschen Strafrechtswissenschaftler Albin Eser[7] stammt die heute in der Wissenschaft weit verbreitete Definition von Plagiat als die „unbefugte Verwertung unter Anmaßung der Autorschaft“.[8] Eine längere Definition, erarbeitet vom ‚Kompetenzzentrum für Akademische Integrität‘ der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, ist seit 2015 in den studienrechtlichen Begriffsbestimmungen des österreichischen Universitätsgesetzes nachzulesen:

„Ein Plagiat liegt eindeutig vor, wenn Texte, Inhalte oder Ideen übernommen und als eigene ausgegeben werden. Dies umfasst insbesondere die Aneignung und Verwendung von Textpassagen, Theorien, Hypothesen, Erkenntnissen oder Daten durch direkte, paraphrasierte oder übersetzte Übernahme ohne entsprechende Kenntlichmachung und Zitierung der Quelle und der Urheberin oder des Urhebers.“[9]

Diese Definition zeigt bereits die verschiedenen möglichen Spielarten des Plagiats auf, ist aber taxonomisch nicht korrekt. So sind etwa „Inhalte“ sowohl „Texte“ (konkrete sprachliche Realisierungen eines Inhalts) als auch „Ideen“. Auch der Begriff der „Erkenntnis“ als Allgemeinbegriff für das Ziel der Wissenschaft ist hier wohl wenig sinnvoll. Weiter gibt es kaum einen Zweifel daran, dass sich Theorien und Hypothesen (fast) nur in „Textpassagen“ manifestieren können (mit Ausnahme von Schaubildern). Auch das „oder“ bei der „Übernahme“ ist inkonsistent, denn man kann ja etwa auch übersetzen und dann paraphrasieren (oder umgekehrt). Schließlich stellt sich die Frage, ob der Satzteil „der Urheberin oder des Urhebers“ Bestandteil der Definition sein muss. Es ist nämlich auch an Plagiate von Texten zu denken, von denen kein Urheber bekannt ist, etwa von namentlich nicht gekennzeichneten Texten aus dem Internet.

Die Definition ist somit alleine schon, was die Taxonomien anbelangt, stark überarbeitungsbedürftig. Zudem fehlt die studienrechtlich entscheidende Frage, ob zum Plagiat im studienrechtlichen Sinne das Moment der Täuschung, des Vorsatzes gehört. Andernfalls wäre die Begriffsbestimmung im studienrechtlichen Teil des UG falsch platziert.

Im Folgenden wird vorgeschlagen, nach der Modalität eines Plagiats, seiner (Content-)Quelle und seiner Intensität zu unterscheiden.

Erscheinungsformen des akademischen Plagiats

Bei der Modalität kommt wohl die Spielart ‚Plagiat eines fremden Contents’ am häufigsten vor. Studentische Selbstplagiate (die Rede ist auch von ‚Eigenplagiaten’ oder ‚Autoplagiaten’) kommen vor, wenn schriftliche Arbeiten oder Teile daraus für mehrere Prüfungszwecke eingereicht werden oder wenn etwa Bachelorarbeiten zu Teilen oder gänzlich ohne entsprechende Angaben in Masterarbeiten aufgenommen werden.[10]

In Bezug auf die (Content-)Quelle[11] sind ohne Zweifel Textplagiate die häufigste Variante. Der Bogen spannt sich hier von Plagiatsfragmenten in Bewerbungsschreiben über die ‚klassischen’ Formen des Textplagiats etwa in Theorieteilen von Abschlussarbeiten bis zu plagiierten Wiedergaben qualitativer Interviews (Versuchspersonen werden Zitate ‚in den Mund gelegt‘, die schon andere Personen zuvor in anderen Forschungssettings gesagt haben). Strukturplagiate (von Inhaltsverzeichnissen) sind ebenso ein Thema wie Ideenplagiate (etwa Fragen der Art: Wer hat als Erster die Evolutionäre Erkenntnistheorie mit dem Radikalen Konstruktivismus verbunden, und ist es ein Ideenplagiat, wenn diese Erstquelle nicht zitiert wird?).

Die Intensität eines Plagiats lehnt sich an Kategorisierungen der Plagiatsdokumentier-Plattformen GuttenPlag Wiki und VroniPlag Wiki an, wobei im vorliegenden Kapitel – wie in den erwähnten Wikis –der Begriff des ‚Bauernopfers’ von Benjamin Lahusen (2006) übernommen wird.[12] Lahusen bemerkt zu der von ihm so bezeichneten ‚Bauernopfer-Referenz’ (der Begriff ist in diesem Kontext in der Tat Lahusens Erfindung): „Ein kleiner Teil (des insgesamt übernommenen Texts) wird als Ergebnis fremder Geistestätigkeit gekennzeichnet, damit die Eigenautorschaft […] hinsichtlich des übrigen Textes umso plausibler wird.“[13] Auf gut Deutsch: Bauernopfer-Referenz meint, dass mehr Text wörtlich übernommen wurde, als mit Anführungszeichen versehen wurde. Diese Spielart des Plagiats konnte auch in zahlreichen Qualifikationsschriften aus der Zeit vor der Digitalisierung identifiziert werden. Die ‚Bauernopfer-Referenz’ (oder kurz das Bauernopfer) kann auch als Alibi-Fußnote bezeichnet werden, die den Leser über den wahren Umfang des übernommenen Fremdtexts im Unklaren lässt. Dabei bedeutet ‚einfaches Bauernopfer’, dass das Fußnotenzeichen meist im Fließtext so platziert wird, dass nicht erahnt werden kann, dass noch mehr Text oberhalb oder unterhalb des Fußnotenzeichens übernommen wurde. Ein ‚verschärftes Bauernopfer’ liegt dann vor, wenn der Quellenverweis meist im Fußnotentext etwa auf bloß weiterführende Literatur zum Thema verweist, während in Wahrheit Text wörtlich oder umformuliert aus ebendieser sogenannten ‚weiterführenden’ Literatur übernommen wurde. Mit Blindzitat ist schließlich gemeint, dass ein in Sekundärliteratur wörtlich oder sinngemäß zitierter Text aus der Primärliteratur im eigenen Werk wie Primärliteratur zitiert wird, es wird also das Zitat aus der Sekundärliteratur abgeschrieben. – Weitere Spielarten und Unter-Erscheinungsformen sind denkbar.

Mithin wäre folgende operationalisierbare Definition eines akademischen Textplagiats denkbar: Ein akademisches Textplagiat liegt immer dann vor, wenn nach herrschenden Zitierrichtlinien Anführungszeichen gesetzt und/oder Quellenangaben (dies inkludiert: am richtigen Ort) hätten platziert werden müssen oder (in der numerischen Zitierweise) die wörtliche Übernahme unerlaubt war.

Ein zweiter operationalisierbarer Definitionsvorschlag lautet: Ein akademisches Textplagiat liegt immer dann vor, wenn die Zuhilfenahme aller aktuell verfügbarer Methoden (Software, Suchmaschinen, manuelle Vergleiche) ergibt, dass eine zufällige Textgleichheit ausgeschlossen werden kann.

Der Plagiatsbegriff kann nicht nur analytisch in Bezug auf Modalität, Quelle/Content und Intensität differenziert werden. Er muss auch ‚prozesslogisch‘ betrachtet werden:

Dimensionen der Plagiatsprävalenz

Wenn wir von einem ‚Plagiat’ sprechen, so können wir folgendes meinen:

  1. die Bereitschaft, unter gewissen hypothetischen oder realen Umständen ein Plagiat zu begehen;
  2. die tatsächliche Plagiatshandlung/-tat;
  3. das Plagiat als (durch andere) entdecktes Phänomen;
  4. die Meldung eines entdeckten (realen oder vermeintlichen) Plagiats;
  5. ein Plagiat(sverdachtsfall), das (der) Gegenstand eines Plagiatsverfahrens ist;
  6. ein bereits sanktioniertes Plagiat oder
  7. ein (letzt-)instanzlich bestätigtes Urteil zu einem Plagiat.

Bei Punkt 3 (und damit auch in Auswirkung auf die folgenden Punkte) ist schließlich der Zeitpunkt der Plagiatsentdeckung (-detektion) zu beachten. Dieser kann sein:

  • Während der Prüfung; bei prüfungsimmanenten Lehrveranstaltungen vor Abgabe der Endarbeit
  • Nach der Prüfung, aber vor der Beurteilung (beziehungsweise im Zuge dieser); bei prüfungsimmanenten Lehrveranstaltungen nach Abgabe der Endarbeit, aber vor der Beurteilung der LV (beziehungsweise im Zuge dieser)
  • Nach der Beurteilung, aber vor Verleihung des akademischen Grades
  • Nach der Beurteilung und nach Verleihung des akademischen Grades

Diese Phasen korrespondieren mit gesetzlichen Sanktionsmöglichkeiten.

Diese Dimensionen der Plagiatsprävalenz machen es so schwer, den Begriff ‚Plagiat’ empirisch zu operationalisieren. Mit simplen Fragen wie ‚Wie viele Plagiatsfälle gab es…?’ kommt man so gesehen nicht weit. Zudem gibt es fast immer eine begriffliche Unschärfe in Bezug auf die Referenz des Plagiatsbegriffs: Meint ‚Plagiat’ das jeweils einzelne, abgegrenzte Plagiatsfragment (also eine parzellierte plagiierte Sinneinheit in einem Werk) und/oder wird der Begriff auf das gesamte Werk angewandt, wenn ein erheblicher oder werkprägender Teil aus Plagiatsfragmenten besteht? Wenn wir etwa nach akademischen Plagiatsstatistiken fragen, meinen wir immer Werke, nicht einzelne Plagiatsfragmente und auch nicht Verfasser/innen, die ja auch mehrfach Plagiate einreichen könnten. Dennoch hat sich im Sprachgebrauch beides etabliert: Man kann sagen, dass die Dissertation von Herrn Guttenberg ein Plagiat ist. Man kann aber auch sagen, dass die Dissertation von Herrn Guttenberg so und so viele Plagiate enthält.

Zwei definitorische Abgrenzungen sollen noch vorgenommen werden: Das hier im Fokus stehende akademische Plagiat (als Verstoß gegen die Richtlinien guter wissenschaftlicher Praxis und – in seiner schwerwiegenden Form – mit möglichen studienrechtlichen Konsequenzen) muss vom Plagiat im Sinne einer Urheberrechtsverletzung immer unterschieden werden (andere Rechtsmaterie: einmal Universitätsgesetz, einmal Urheberrechtsgesetz). Auch wird empfohlen, Arbeiten von Ghostwritern nicht als eine Unterform des Plagiats aufzufassen.

Fußnoten

  1. Dieser Ersttext zum Stichwort „Plagiat“ ist der IHS-Studie „Plagiatsprüfung durch österreichische Universitäten und Hochschulen. Lagebericht zur Praxis in Studium und Lehre“, Unterkapitel „Begriff und Erscheinungsformen des (vor allem: akademischen) Plagiats“, S. 6-11 (in der Fassung des Zwischenberichts vom 17.08.2021) entnommen, Verfasser Stefan Weber. Er wurde bereits für die Erstbefüllung des Wikis erweitert und redigiert.
  2. Siehe Duden, Band 7, Herkunftswörterbuch in der Fassung von 19892, Eintrag ‚Plagiat‘.
  3. https://de.pons.com/%C3%BCbersetzung/latein-deutsch/plaga
  4. https://de.pons.com/%C3%BCbersetzung/latein-deutsch/plagiarius
  5. Dank für Mitarbeit an Herbert Toscany.
  6. Siehe Duden, Band 7, Herkunftswörterbuch in der Fassung von 19892, Eintrag ‚Plagiat‘.
  7. Persönliche Mitteilung über die Erstautorschaft per E-Mail an die Studienautoren.
  8. Definition aus dem Jahr 1997, siehe https://www.mpg.de/229489/Verfahrensordnung.pdf: 4. – Albin Eser grenzte hier vom Plagiat interessanterweise den Ideendiebstahl ab (zuvor auch ‚Wissenschaftsspionage‘ genannt), worunter er die „Ausbeutung von Forschungsansätzen und Ideen, insbesondere als Gutachter“ verstand (ebenda: 4), wohl auch unter dem Eindruck des Fälschungsskandals Herrmann/Brach.
  9. § 51 Abs. 2 Z 31 von https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20002128
  10. Die studienrechtliche Bewertung von Selbstplagiaten ist nicht eindeutig, vgl. dazu auch GAMPER 2009 anlässlich des Falls eines Selbstplagiats aus einer Dissertation in einer Habilitationsschrift. In Österreich ist das „Selbstplagiat“ hochschulrechtlich nicht erfasst, allerdings wird es etwa in einer aktuellen europaweiten Aufstellung von Formen wissenschaftlichen Fehlverhaltens zumindest unter „other unacceptable practices“ gereiht, siehe https://ec.europa.eu/info/funding-tenders/opportunities/docs/2021-2027/horizon/guidance/european-code-of-conduct-for-research-integrity_horizon_en.pdf: 8 f. Die Definition lautet hier: „Re-publishing substantive parts of one’s own earlier publications, including translations, without duly acknowledging or citing the original (‘self-plagiarism’)“. Entscheidend ist also nicht die Mehrfachverwertung ‚als solche‘, sondern das Unterlassen des Hinweises auf diese und auf den genauen Umfang.
  11. Der m.E. irreführende Begriff eines ‚Inhaltsplagiats‘ (wohl analog zum ebenfalls irreführenden, weil zu weit gefassten Begriff des ‚inhaltlichen Zitats‘ mitunter vorkommend) wird hier nicht verwendet, weil unter Inhalten sowohl Texte (konkrete sprachliche Realisationen von Ideen) als auch Ideen verstanden werden können bzw. die Differenzierung eines Inhalts vom Text und der Idee nicht gelingt.
  12. Siehe https://guttenplag.wikia.org/de/wiki/PlagiatsKategorien.
  13. LAHUSEN, Benjamin (2006): Goldene Zeiten. Anmerkungen zu Hans-Peter Schwintowski, Juristische Methodenlehre, UTB basics Recht und Wirtschaft 2005. In: Kritische Justiz (KJ) 39(4), S. 406.