Gute wissenschaftliche Praxis

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„Gute wissenschaftliche Praxis“ ist ein Konzept, das im deutschsprachigen Raum erstmals 1997 vorgestellt wurde. Die Begrifflichkeit stammt vom bundesdeutschen Strafrechtswissenschaftler Albin Eser und wurde ursprünglich für die Max-Planck-Gesellschaft entworfen.[1] „Gute wissenschaftliche Praxis“ ist eine Eindeutschung des Konzepts „Good scientific practice“, das wiederum in der Literatur erstmals 1992 in Dänemark auftaucht.[2] In der amerikanischen Literatur war eher die Begrifflichkeit „responsible research practices“ gebräuchlich.[3] „Good scientific practice“ bzw. „gute wissenschaftliche Praxis“ ist eine begriffliche Übertragung der bereits in den 1970er und 1980er Jahren gebräuchlichen Begriffe „Good Laboratory Practice“ und „Good Clinical Practice“.

Für die Folgejahre entscheidend war die Denkschrift zur guten wissenschaftlichen Praxis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) aus dem Jahr 1998.[4] „Gute wissenschaftliche Praxis“ (mittlerweile auch kurz: GWP) fand spätestens im Jahr 2004 mit den „Richtlinien der Österreichischen Rektorenkonferenz zur Sicherung einer guten wissenschaftlichen Praxis“ Eingang in die österreichischen Universitäten und Hochschulen.[5] Die Richtlinie 1 wurde dabei im Wesentlichen von der DFG übernommen:

Richtlinien-gwp.jpg

Die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis wurden seit 1998 immer weiter ausbuchstabiert. Sieben Regeln guter wissenschaftlicher Praxis listet etwa das bundesdeutsche Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung auf.[6] Von diesen lautet die erste Regel (eine Ausdifferenzierung der Richtlinien 1 der DFG und der Österreichischen Rektorenkonferenz):

Regeln-gwp.png

Mittlerweile finden sich diese oder abgewandelte Richtlinien guter wissenschaftlicher Praxis als Handlungsanleitungen für Studium, Lehre und Forschung auf den Webseiten fast aller österreichischen Universitäten und Hochschulen.[7] Die „gute wissenschaftliche Praxis“ ist auch Thema vieler studienrechtlicher Teile von Satzungen geworden.[8]

„Gute wissenschaftliche Praxis“ kann sich auch forschungsprozessual beziehen auf 1. gute Autorschaftspraxis, 2. gute Zitierpraxis, 3. gute empirische Praxis inkl. guter Dokumentationspraxis und 4. gute Publikationspraxis:

Dimensionen-gwp.png
Gwp-tabelle.png

Die gute Zitierpraxis – sowohl die Zitierredlichkeit als auch die Beherrschung eines gewählten Zitierstils – ist damit immer auch Teil der guten wissenschaftlichen Praxis. Zu beachten ist aber, dass nicht jeder Verstoß das Gegenteil von „guter wissenschaftlicher Praxis“ darstellt, nämlich „wissenschaftliches Fehlverhalten“. Im Bereich der guten Zitierpraxis wären diese Grauzonen die Zitierfehler, vor allem im Bereich der guten empirischen Praxis wären diese Grauzonen die sogenannten QRPs (Questionable Research Practices).

Auf der derzeit üblichen Liste von 24 QRPs finden sich folgende Verfehlungen, die Verstöße gegen die gute Zitierpraxis betreffen:

„6. Zitieren von Literatur, die für Ihr Werk als relevant erachtet wird, ohne sie tatsächlich gelesen zu haben. […]

14. Selektives Zitieren von für das Thema irrelevanten oder unnötigen Veröffentlichungen, um Gutachtern oder Herausgebern zu schmeicheln.

15. Bewusst mehr eigene Publikationen zitieren, als deren Relevanz es rechtfertigt, um die Sichtbarkeit Ihrer Arbeit zu fördern oder Ihre Zitiermetrik zu verbessern.

16. Bewusstes Nicht-Zitieren relevanter Publikationen, die den eigenen Überzeugungen oder Forschungen widersprechen. […]

24. Bewusstes Verwenden der unveröffentlichten Idee eines anderen Forschers ohne Angabe. Zum Beispiel die Veröffentlichung einer Idee, die ein Kollege bei einem informellen Treffen geäußert hat, ohne ihr/ihm Anerkennung zu zollen.“[9]

Fußnoten

  1. Siehe Quellenverzeichnis in: ESER, Albin (1999): Die Sicherung von „Good Scientific Practice“ und die Sanktionierung von Fehlverhalten. Mit Erläuterungen zur Freiburger „Selbstkontrolle in der Wissenschaft“. In: Lippert, Hans-Dieter/Eisenmenger, Wolfgang (Hg.): Forschung am Menschen. Der Schutz des Menschen – Die Freiheit des Forschers. Berlin/Heidelberg: Springer, S. 123-157 (mit Anlage).
  2. ANDERSEN, Daniel u.a. (1992): Scientific Dishonesty & Good Scientific Practice. Danish Medical Research Council und ANDERSEN, Daniel u.a. (1993): Scientific Dishonesty and Good Scientific Practice. In: Danish Medical Bulletin, Jahrgang 40, Heft 2, S. 250-252.
  3. NATIONAL ACADEMY OF SCIENCES u.a. (Hg.) (1992): Responsible Science. Ensuring the Integrity of the Research Process. Volume 1. Washington DC: National Academy Press.
  4. DEUTSCHE FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT – DFG (1998): Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis. Safeguarding Good Scientific Practice. Weinheim: Wiley-VCH.
  5. https://boku.ac.at/fileadmin/data/H99000/H99100/Ethik/120118_oestrr_rektorenkonferenz_Richtlinien_Sicherung_wiss.Praxis_ORK-1.pdf
  6. https://www.bib.bund.de/DE/Forschung/Qualitaet/Qualitaetssicherung.html
  7. Statt vieler: Für die TU Graz, für die TU Wien und für die Universität Innsbruck
  8. Statt vieler: Für die PH Wien
  9. o.N. (2018): Complete List of QRPs, 24 items. Universität Aarhus: unveröffentlicht.